Sie bezeichnen sich als Bürgernetzwerke, Familieninitiativen oder Lebensschutzorganisationen – doch hinter den harmlos klingenden Namen verbergen sich zunehmend einflussreiche rechtskonservative NGOs, die – ähnlich wie NGOs links der politischen Mitte – gemeinnützig sind, zugleich aber aktiv in der Politik mitmischen. Mit professionellen Kampagnen, klarem politischen Kompass und undurchsichtigen Finanzstrukturen nehmen Organisationen wie Ein Prozent e.V., das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (iDAF), die Stiftung Ja zum Leben und die Stiftung für Familienwerte Einfluss auf öffentliche Debatten.
Noch vor wenigen Jahren fristeten viele dieser NGOs ein Dasein im Schatten des politischen Diskurses. Heute erreichen ihre Botschaften Hunderttausende – über Social Media, alternative Nachrichtenportale und durch geschickte Kampagnenarbeit. Ein gutes Beispiel dafür ist der gemeinnützige Verein Ein Prozent e.V., der sich selbst als „patriotisches Bürgernetzwerk“ bezeichnet. Die Organisation inszeniert sich als Sprachrohr der sogenannten schweigenden Mehrheit und ruft zu Wahlbeobachtungen, Protesten und Spendenaktionen auf. Der Verein brachte im September 2020 gemeinsam mit dem Spieleentwickler Kvltgames das 2D-Jump ‘n‘ Run Computerspiel „Heimat Defender Rebellion“ heraus. Das Spiel wurde im Dezember 2020 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) indiziert.
Mehr dazu bei: Wikipedia – Ein Prozent e.V.; Verfassungsschutz Sachsen;
Die Stiftung für Familienwerte startet regelmäßig Initiativen gegen die „Sexualpädagogik der Vielfalt“, die Ausgestaltung des Elterngeldes und der Krippenfinanzierung oder „Erniedrigungsspiele“ auf Staatskosten. Dabei bedienen sie sich professioneller Kommunikationsstrategien – inklusive emotionaler Narrative, Feindbilder und direkter Mobilisierung.
Auch das iDAF finanziert sich nach eigenen Angaben „ausschließlich von Spenden“. Es tritt als Thinktank auf, der sich auf dem Feld der Familien-, Sozial- und Bevölkerungspolitik positioniert. Seine Positionen, veröffentlicht auf der eigenen Website und in rechtslastigen Medien wie ‚Junge Freiheit‘, sind klar ideologisch gefärbt – gegen „Gender-Mainstreaming“, gegen Abtreibung, gegen Migration. Die Stiftung Ja zum Leben wiederum fokussiert sich auf den Lebensschutz und tritt in Kampagnen gegen den Paragrafen 218 StGB auf.
Nähe zur Parteipolitik: Offiziell unabhängig, faktisch verbunden
Ein zentrales Problem ist die Nähe vieler dieser NGOs zur AfD. Bei Ein Prozent e.V. war mit Hans-Thomas Tillschneider ein aktiver AfD-Abgeordneter maßgeblich beteiligt. Auch die Gustav-Stresemann-Stiftung, die als parteinahe Stiftung der AfD fungieren könnte, wurde zeitweise von Ein Prozent e.V. unterstützt. Das iDAF wiederum wird regelmäßig in AfD-nahen Publikationen rezipiert – und liefert Argumente für migrationskritische und nationalkonservative Politik.
Finanzierung: Viel Geld, wenig Transparenz
Eines vereint all diese Organisationen jedoch mit zahllosen anderen Lobbygruppen: Die mangelhafte Transparenz. Genaue Zahlen zur Mittelverwendung oder zu Großspendern legen nur die wenigsten offen. Ein Prozent e.V. verweist auf über 44.000 Einzelspender, veröffentlicht jedoch keine testierten Jahresberichte. Laut eigener Aussage gab die Organisation 2017 mehr als 250.000 Euro an ‚patriotische Projekte‘, für „Rechtskämpfe“ und „Solifonds“ weiter. Das iDAF gibt an, ausschließlich spendenfinanziert zu sein – und legt ebenfalls keine Summen offen.
Bei der Stiftung Ja zum Leben ist gerade einmal bekannt, dass das Gründungskapital ursprünglich 50.000 Mark betrug. Mittlerweile verfügt sie über mehrere Unterstiftungen und unterstützt dutzende Projekte – doch weder Jahresabrechnungen noch Förderrichtlinien sind öffentlich zugänglich.
Die Stiftung für Familienwerte wurde zum Zeitpunkt ihrer Gründung im Jahr 2008 mit einem Stiftungsvermögen von 30.000 Euro ausgestattet. Über die weitere Finanzierung ist nichts bekannt.
Gemeinnützigkeit als stiller Multiplikator
Die meisten rechtskonservativen NGOs setzen nicht auf staatliche Förderung – zumindest offiziell. Stattdessen fokussieren sie sich auf Spenden, Fördermitgliedschaften und Zustiftungen. Das sorgt zwar für politische Unabhängigkeit vom Staat, erschwert aber auch Transparenz. Allerdings: Nach Recherchen des Strategieberaters Mirko Lange erhalten auch CDU-nahe Organisationen wie die Christdemokraten für das Leben e.V. oder die Desiderius-Erasmus-Stiftung (AfD-nah) indirekte staatliche Unterstützung – etwa über steuerbegünstigte Vereinsstrukturen oder Publikationszuschüsse. Zusammengefasst hat er seine Erkenntnisse im Dossier ‚Democracy S.H.I.E.L.D.‘.
Langes Erkenntnisse verwundern nicht. Denn obwohl viele dieser NGOs politisch agieren, sind sie steuerlich begünstigt. Sie gelten als gemeinnützig, was nicht nur eine Befreiung von Körperschafts- und Gewerbesteuer bedeutet, sondern auch die Möglichkeit eröffnet, Spendenquittungen auszustellen. Diese Form der indirekten öffentlichen Finanzierung ist nicht neu – aber im Kontext politischer Kampagnen besonders brisant. Das kritisiert auch Lange in seinem Dossier: „Auch rechtskonservative Organisationen profitieren strukturell von der Gemeinnützigkeit, ohne dass ihre politische Ausrichtung oder Parteinähe öffentlich kontrolliert würde.“
Juristische Bewertung: Was ist noch gemeinnützig?
Nach §52 der Abgabenordnung (AO) dürfen gemeinnützige Organisationen politische Ziele verfolgen, sofern sie dem Satzungszweck dienen und keine parteipolitische Betätigung darstellen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs gegen Attac (2019) legt jedoch nahe, dass allgemeinpolitisches Engagement nicht automatisch gemeinnützig ist.
Zum Urteil: BFH 2019 – V R 60/17
Trotzdem genießen viele als gemeinnützig anerkannte Lobbygruppen weiter steuerliche Vorteile – während Organisationen wie Campact oder Attac ihre Gemeinnützigkeit verloren haben. Ein strukturelles Ungleichgewicht, das dringend einer Klärung bedarf.
Fazit: Gleiches Recht für alle – auch in der Zivilgesellschaft
Rechtskonservative NGOs sind inzwischen ein relevanter Faktor im deutschen Meinungskampf. Sie agieren strategisch, gut organisiert – und häufig außerhalb des öffentlichen Radars. Dabei nutzen sie Vorteile, die eigentlich neutralen, gemeinwohlorientierten Zwecken dienen sollen.
Was es braucht, ist ein transparenter Blick auf alle zivilgesellschaftlichen Akteure – unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung. Denn Demokratie lebt von fairen Spielregeln, klaren Grenzen und der Verpflichtung zur Offenheit. Nur wer offenlegt, woher das Geld kommt, kann auf Dauer gesellschaftliches Vertrauen beanspruchen.